»Es gibt keinen anderen Weg, den sinnlichen Menschen vernünftig zu machen, als dass man denselben zuvor ästhetisch macht.«
— F. Schiller
»Alles hat seine Zeit« (Neues Testament) – beginnend mit der Entstehung, der Entwicklung bis zur Blüte, dem Altern und dem Vergehen. Es ist ein Gesetz, das die belebte und die unbelebte Natur gleichermaßen betrifft und mit ihr alle Entwicklungen und Interaktionen.
Die Geschichte und die Entwicklung des Briefes sind gleichzusetzen mit Hegels »Eule der Minerva«, die »erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug beginnt.« 13 Das Symbol der Klugheit wurde der römischen Göttin Minerva zuteil und die Eule, deren Flügelschlag erst die beginnende Abenddämmerung zerschneidet, wird metaphorisch mit einer zu spät kommenden Erkenntnis verglichen. Die Weisheit, die Philosophie, die Erkenntnis, die erst im Rückblick aus dem Nebel der Verschleierung tritt.
Die Geschichte der Telekommunikation steht in unmittelbarer Verknüpfung mit den technischen Innovationen. Beginnend bei den Trommeln, die es ermöglichten, über geringe Distanzen, unter Einbeziehung von Windrichtung und dem Hörvermögen des menschlichen Ohrs, Botschaften auszutauschen, über den Brief bis hin zur heutigen E-Mail, die nicht sinnlich-erlebbar nach dem »Klick« auf den »Senden« Button ihren Bestimmungsort erreicht. Der Brief, zu Beginn durch den Boten, dann den Pferdekurier, die Postkutsche, darauf folgend mit der Eisenbahn, dem Schiff und dem Flugzeug befördert, befindet sich nun auf dem sprichwörtlichen Abstellgleis.
Die »Epoche der Post«, wie sie in Anbetracht der rasend voranschreitenden Technologisierung bezeichnet werden kann, ist in ihrer Ablösung begriffen und steht vor ihrem Ende.
Der Takt der Welt wirft das bedächtig sinntragende Charakteristikum des Briefes – seine Schickungstechniken inbegriffen – aus dem Gleichgewicht, überholt Selbiges mit einem lauten und auffordernden: »Schneller!«.
Der Brief als Kommunikationsmittel, Datenträger und kulturelles Manifest ist in seiner Form nicht länger gegeben. Für die Forschung bedeutet das, dass dem kollektiven Gedächtnis eine Quelle abhanden kommt, die sich schwerlich durch andere ersetzen lassen wird. Auf der anderen Seite bewirkt das Verschwinden dieser »epochalen Begleiterscheinung«, dass ihr Aufmerksamkeit zu Teil wird und den Blick klärt für die Besonderheiten, für das, was einen Brief auszeichnet, einen Brief zu dem macht, was er ist – ein Unikat.
In seiner Beständigkeit hoch geschätzt: ein freudebringender Brief,
gleich einem kleinen Geschenk, das nicht (mehr) alltäglich ist.
Auf 120 Seiten spürt »Der Brief — Auseinandersetzung mit einem fast vergessen Medium« dem Brief – seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – nach, stellt Fragen, wagt Antworten. Was ist und was bleibt? Was verändert sich in unserer Wahrnehmung in der Vernachlässigung des Briefeschreibens? Diesen und vielen anderen Fragestellungen geht diese Arbeit nach.
Begleitet wird diese praktische Arbeit von der künstlerischen Umsetzung, dem reellen Spiel mit dem Medium Brief. Drei Briefpartner, drei Geschichten und Leben, begleitet ein Jahr lang in Wort und Bild. Originalgrafiken, Briefe und Zitate (gedruckt auf der Druckerpresse), zeichnen eine Idee über die Kraft und Wahrhaftigkeit von Briefen und dem Zauber
dem jeder Einzelne innewohnt. Die Essenz der Inhalte und Stimmungen wiedergegeben in Bildern und ausgewählten Zitaten.
»Das Schreiben ist mehr noch als die instrumentale Musik eine tief interiorisierte Technologie. Um aber die Schrift zu begreifen –
was auch heißt, ihr Verhältnis zu ihrer Vergan-genheit, der Oralität, zu begreifen –, muß stets daran erinnert werden, daß sie eine Technologie ist.«
»Ich kann übrigens nur schreiben, wenn ich wirklich schreibe, als täte ich es allein aus privatem, persönlichem Antrieb. Insofern werde ich ganz intim und offen sein. Dir gegenüber fällt es mir nicht schwer.«